Rem Koolhaas
Unter der Regie des visionären Star-Architekten und seines Büros OMA wird das KaDeWe umgebaut.
Nächster Schritt: Im Frühsommer 2021 wird das erste von insgesamt vier Treppenhäusern im Atrium eröffnet. Jedes hat einen eigenen Charakter, ähnlich wie die unterschiedlichen Berliner Kieze. Die Autorin Katja Eichinger über die Lust am Shoppen und die Philosophie von Rem Koolhaas.
Porträt des Architekten als junger Mann: Rem Koolhaas in seinen Twenties
Warum konsumieren wir? Woher kommt diese große Lust, die wir beim Einkaufen empfinden? Was steckt hinter unserer Sehnsucht nach käuflichen Dingen? Das sind Fragen, die mich seit meiner Kindheit beschäftigen, die ich zu großen Teilen vor den Umkleidekabinen von Modeboutiquen verbrachte, während ich auf meine Mutter wartete. Ihr endloses Ritual, bestehend aus Aussuchen-Ausziehen-Anziehen, war mir völlig rätselhaft. Und weil die Rätsel der Kindheit uns nie verlassen und so vieles in unserem Leben von unserem immerwährenden Versuch geleitet wird, das Enigma unserer Mutterfigur zu lösen, begann ich mich mit Konsumkultur zu beschäftigen. Im Zuge meiner Exkursionen in Sachen Konsum und dem damit verbundenen Nachdenken darüber, warum wir was oder wen begehren, stolperte ich über den Text »Junkspace«, erschienen 2001 im »Harvard Design School Guide to Shopping«, von Rem Koolhaas. Eine Erleuchtung.
Koolhaas ist einer der einflussreichsten Architekten unserer Zeit. Und was ihn von den meisten anderen großen Architekten unterscheidet, ist seine visionäre Arbeit auf philosophischer und intellektueller Ebene. Er baut nicht nur, er destilliert gesellschaftliche Prozesse und entwirft Zukunftsbilder. In »Junkspace« liefert Koolhaas eine messerscharfe Analyse von Shoppingmalls und der Architektur des Konsums. Es war das erste Mal, dass sich ein namhafter Architekt mit diesem Thema beschäftigte. Obwohl Shopping einen erheblichen Teil unserer Wirtschaft darstellt und die Konsumarchitektur massiv unser Alltagsbild bestimmt, reden Architekten lieber über kulturelle Prestigeobjekte. Shopping dagegen ist etwas, was zwar fast jeder gerne tut, aber kaum einer gibt gerne zu, dass er dabei Lust empfindet.
»Junkspace« ist eine radikale Kritik der Shoppingmall. Koolhaas beschreibt darin seelenlose, austauschbare Nicht-Orte, die sich weltweit in unsere Vorstädte oder auch – wie in Berlin – in unsere Stadtzentren gefressen haben. Orte, an denen man »nicht weiß, wo man ist, die verdunkeln, wo man hingeht, und einen vergessen lassen, wo man herkommt.« Ob in Berlin, Shanghai, Los Angeles oder Florida – Shoppingmalls sehen fast überall gleich aus. Orte, an denen die Desorientierung total ist. An denen »jedes kritische Denken im Namen von Komfort und Lust ausgeschaltet wird«, so Koolhaas. Das Gestern und das Morgen verschwinden, man flieht vor der Komplexität der Welt.
Ich war überrascht, als mich 2016 die deutsche Vogue fragte, ob ich Rem Koolhaas zu seinem geplanten Umbau des KaDeWe interviewen wolle. Der große Kritiker der Konsumarchitektur sollte einen von Europas größten Department Stores umbauen? Das war sensationell. Im KaDeWe würde Koolhaas beweisen müssen, wie man es besser macht. Wie man vermeidet, dass ein Ort des Konsums zum Junkspace wird. Und nicht nur das. Durch die enorme Zunahme des Onlineverkaufs ist Koolhaas auch herausgefordert, eine Neudefinition des Sinns und Wesens eines Kaufhauses zu geben. Das Treffen mit Koolhaas fand in der Fondazione Prada in Mailand statt, dem 2015 eröffneten Gegenwartsmuseum, das Koolhaas für Prada gebaut hat. Koolhaas redet schnell und denkt noch schneller.
Ihn umweht eine elektrisierende Energie, und seine alles umfassende Neugier ist ansteckend. Er ist einer von den Menschen, in deren Gegenwart man sich mehr am Leben fühlt. Letzteres ist das, was Koolhaas im KaDeWe erreichen will: dass man nicht wie benommen durch schier endlose Gänge wandelt und keine andere Wahl hat, als sich in die Orientierungslosigkeit fallen zu lassen. Vielmehr will er den Besuchern helfen, nicht nur sich zu orientieren, sondern trotz allen Staunens und aller Shoppinglust wach und bei klarem Verstand zu bleiben. Indem er das Gebäude in vier Blöcke unterteilt und darin großzügige Treppenhäuser mit Rolltreppen einbaut, schafft er Raum zum Atmen und zum Denken.
Der illuminierte Haupteingang des KaDeWe bei Nacht
»Wir beenden die Endlosigkeit!«, so Koolhaas. »Wir«, das sind er und das Team seines Rotterdamer Architekturbüros OMA (Office for Metropolitan Architecture), dabei an erster Stelle OMA-Partnerin Ellen van Loon, die das Projekt leitet. Jedes dieser Treppenhäuser hat einen eigenen Charakter, ähnlich wie die unterschiedlichen Berliner Kieze. Damit wissen Besucher, dass sie sich nicht in einem beliebigen Konsumtempel der Welt aufhalten, sondern eben in Berlin. Dieser vielschichtigen Metropole, die für viele das moderne Europa versinnbildlicht. Das KaDeWe wird im Hier und Jetzt, in Berlin verortet. Leerräume wie diese Treppenhäuser gehören zur Ästhetik von OMA. Wer sich in ihnen aufhält, bei dem stellt sich unweigerlich das Gefühl ein, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst.
Dass man nicht nur Konsument ist, sondern eben auch Bürger und bewusstes Lebewesen. Das KaDeWe, wie es von OMA umgebaut wird, durchbricht die hermetisch abgeriegelte Konsum-Hyperrealität, wie wir sie zum Beispiel aus den Duty-free-Bereichen von internationalen Flughäfen kennen. Dabei ist Koolhaas inspiriert von den frühen Kaufhäusern des 20. Jahrhunderts, in denen immer wieder auch Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen stattfanden. Das KaDeWe wird so zum Ort der Begegnung, ein integraler Teil des Stadtlebens. Wo sich auch dem ausländischen Besucher ein Eindruck davon vermittelt, was es heißt, ein Berliner zu sein. Wie das wird, meiner Mutter dieses neue KaDeWe zu zeigen, darauf bin ich wirklich gespannt. Meine Hoffnung ist ja, dass ich, wenn ich dann wieder wartend vor den Umkleidekabinen sitze, des Rätsels Lösung einen Schritt näher komme.
Ein Rendering der Rolltreppe Twist, die im Frühsommer 2021 eröffnet wird
KATJA EICHINGER Die Autorin ist in Kassel aufgewachsen, hat am British Film Institute studiert und 17 Jahre in London gelebt. Sie arbeitete als Journalistin für Financial Times, Vogue und Esquire. Ihr unterhaltsamer wie schlauer Bestseller »Mode und andere Neurosen« ist im Blumenbar Verlag erschienen. Ihr Buch ist bei Women’s Fashion in der 2. Etage erhältlich.
Treppenparadies KaDeWe oder alle Wege führen nach oben. Das Modell des Architekturbüros OMA zeigt die vier unterschiedlichen Rolltreppen, die in Planung sind. Die erste Rolltreppe, die zu benutzen sein wird, ist die Twist, im Modell hinten rechts – Eröffnung im Frühsommer 2021. Die Twist gleicht einer Schraube, erinnert mit ihrer Form an die Guggenheim-Rotunde und ist mit Walnussholz verkleidet. Eine Referenz an das legendäre Macy’s in NYC, in dem bereits 1902 Fahrtreppen verbaut wurden, die noch heute im Betrieb sind.
Das Besondere an dieser Treppe ist, dass sie ineinander gedreht ist. Benutzt man die Rolltreppe konsequent von der 1. bis zur 6. Etage, kommt man immer an einem anderen Punkt heraus. Sie suggeriert Eigendynamik und schärft das räumliche Erleben. Durch kreuzförmige Schnitte wurde das Gebäude zuvor von OMA in vier Quadranten eingeteilt, sodass sich die Besucher leichter orientieren können.
Text
Katja Eichinger
Fotografie
privat